TIMERIDE Blog

Kölner Altstadt vor dem Abriss

Keine Sorge, die Schlagzeile hat gut einhundert Jahre auf dem Buckel. Obwohl – von „Abriss“ ist damals kaum die Rede. Vielmehr von „Altstadtgesundung“ und „Altstadtsanierung“. Aber wer gesund machen oder sanieren will, der braucht erstmal einen kranken Patienten. Und den gibt es aus Sicht der damaligen Stadtplaner: Das Martinsviertel. Mit den engen Gassen und den kleinen Plätzen wie dem Buttermarkt und dem Fischmarkt ist es zwar auch damals schon das „kölsche Hätz“. Traurig ist aber trotzdem niemand, als man beginnt, hier im großen Stil abzureißen.  

von Jonas Mortsiefer am 28.02.2024

Ein Kran mit einer Abrissbirne inmitten der Kölner Altstadt

Ein kölsches Hafenviertel 

Was heute in Hamburg St. Pauli ist, das ist in Köln vor hundert Jahren das Martinsviertel. Kneipen, Spelunken und zwielichtige Etablissements reihen sich hier aneinander und locken die Schiffsleute aus dem nahgelegenen Rheinauhafen her – damals übrigens noch mit Kränen und ohne Kranhäuser und Schokoladenmuseum. Bald ist die Gegend nicht mehr nur als Kneipen-, sondern auch als Rotlichtviertel berüchtigt.  

Vom „sozialen Brennpunkt“…  

Aber auch abgesehen davon, genießt das Viertel keinen guten Ruf. Eng ist es hier, bis auf den letzten Quadratmeter ist alles zugebaut. Und die alten Häuser bieten wenig Luft, noch weniger Licht und schon gar kein Sanitär. Trotz direkter Rheinnähe und Domblick hätte wohl keine Maklerin von einer „Guten Lage“ gesprochen. Wer genügend Geld hat, zieht weg. Nur die Mittellosen bleiben, wodurch das Viertel nach und nach verarmt.  

…zum Schaufenster der Rheinromantik  

Doch das Viertel hat „Entwicklungspotenzial“, wie man heute sagen würde. In den kleinen Häusern mit den spitzen Giebeln meint man, die gute alte Zeit des Mittelalters zu entdecken. Das sehen auch die Nationalsozialisten so, die hier schließlich ab 1935 großflächig abreißen, entkernen und neu bauen. Eisenmarkt und Ostermann-Platz entstehen und schon fünf Jahre später ist sie fertig – ganz ohne schmuddeliges Hafen- und Rotlichtflair: Die brandneue, auf alt gemachte Altstadt!
Übrigens nur um weitere fünf Jahre später schon wieder in Trümmern zu liegen. Der Krieg ist 1945 vorbei und vom alten Köln fast nichts mehr übrig. Der Wiederaufbau steht vor der Tür. Und weil die Pläne noch in der Schublade liegen, entsteht das Martinsviertel nach den Vorstellungen der 1930er erneut. Die dritte Kölner Altstadt – ein Freilichtmuseum, das zeigt, wie man sich das gute alte Köln geträumt und gebaut hat. 

Jonas Mortsiefer

hat im Master Public History studiert, kann sich Jahreszahlen nur bedingt gut merken und fragt lieber danach, was die Menschen von damals bewegt und angetrieben hat und was das mit der Gegenwart zu tun hat. Beispielsweise auf seinem Interessengebiet von historischer Architektur und Städtebau denn, wenn man so will, ist beides nichts anderes als manifestierte Ideengeschichte und gebaute Vergangenheit.  

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